Inspiriert vom St. Mellitus College der anglikanischen Kirche in London gründeten Vertreterinnen und Vertreter der beiden grossen Landeskirchen vor wenigen Jahren ein theologisches Ausbildungsinstitut – das Reuss-Institut. Es will zur geistlichen Erneuerung der Kirche beitragen, aus dem Vertrauen, dass Gott selbst Veränderung schafft.
Am Anfang stand die Sorge von fünf Personen in leitenden Funktionen in der katholischen und der reformierten Kirche um die Zukunft ihrer Kirche. Sie fragten sich, welchen Beitrag sie für die Kirche von morgen leisten können. Sie teilten die Überzeugung, dass die Zukunft im Miteinander über konfessionelle Grenzen hinweg und in einer Rückbesinnung auf den trinitarischen Gott besteht. Und sie verstanden Erneuerung in der Kirche vor allem als ein Werk Gottes, der geistliche und nicht primär strukturelle Veränderung schafft.
Eine dieser fünf Personen ist die reformierte Pfarrerin Sabine Brändlin. Sie leitet gemeinsam mit dem katholischen Pfarrer Ruedi Beck das Reuss-Institut in Luzern. «Wir wollen damit Impulse für eine geistliche und gemeinschaftliche Kirche geben», sagt Brändlin. Konkret heisst das: ein Aus- und Weiterbildungs-Studiengang in Theologie und Gemeindebildung mit gleichzeitiger Praxistätigkeit. Er richtet sich speziell an Menschen, die in- oder auch ausserhalb bestehender Gemeinden neue Wege von Kirche-sein beschreiten möchten. Das kann eine Person sein, die für die Präsenz einer bestehenden lokalen Kirche in einem Neubauquartier sorgt, aber genauso jemand, der eine neue kommunitäre Lebensgemeinschaft gründet.
Entwicklung ins Unbekannte
Eine Besonderheit am Reuss-Institut ist die laufende Weiterentwicklung des Angebots hin auf ein Ziel, das in einem gewissen Sinn unbekannt ist. In den Worten von Sabine Brändlin: «Nur Gott weiss, was er mit der Kirche vorhat. Wir versuchen, auf ihn zu hören, und beziehen viele Stimmen, auch diejenige der Studierenden selbst, bei der Weiterentwicklung mit ein. Gleichzeitig gehen wir strategisch zielgerichtet vor.» Eine wichtige Bedeutung kommt dabei den heutigen Bedürfnissen junger Menschen zu. In Gesprächen habe sich gezeigt, dass für sie eine attraktive Kirche vor allem drei Bedingungen erfüllen muss: starke Gemeinschaft, Fokus auf Christus und klare gemeinsame Vision.
Die tragende Mitte
Grundsätzlich definiert das Institut Ökumene offen, so dass auch Freikirchen eine potenzielle Arbeitgeberin für Absolventinnen und Absolventen sind. Es gibt verschiedene Kontakte und auch da und dort eine Zusammenarbeit mit Dozierenden.
Das ökumenische Miteinander ist am Institut zentral. «Die Fokussierung auf die gemeinsame Mitte – Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist – gibt uns eine stabile Basis, um uns gegenseitig für konfessionelle Unterschiede und verschiedene Glaubenswege zu öffnen, sie differenziert zu beleuchten und als Bereicherung zu sehen.»
Wachsendes Interesse
Aktuell sind elf Personen in einem Aus- oder Weiterbildungsgang am Reuss-Institut, weitere 13 haben einzelne Module belegt. Obwohl erst in einem Jahr die ersten Abschlüsse anstehen, zieht die Institutsleiterin eine hoffnungsvolle Zwischenbilanz. «Wir hätten nicht mit einer so schnellen positiven Entwicklung gerechnet.» Es sei spürbar, dass sich viele Kirchen mit Gemeindeentwicklung beschäftigten und einen Bedarf an entsprechenden Fachleuten hätten. Zusätzlich zum Studium bietet das Reuss-Institut neu auch Prozessbegleitung für Gemeinden an, die für neue Formen kirchlicher Gemeinschaft offen sind. Auch hier ist die Resonanz positiv, das Interesse vorhanden.
Anspruchsvoll ist die Einbindung in das Gefüge bestehender kirchlicher Berufe. Die drei katholischen Diözesen der Deutschschweiz haben dazu im Jahr 2021 einen Prozess zur Berufsbildentwicklung in die Wege geleitet. Bei der reformierten Kirche finden Gespräche erst mit einzelnen Kantonalkirchen statt. Angesichts des Fachkräftemangels müsste es jedoch bloss eine Frage der Zeit sein, bis die Abgänger vom Reuss-Institut in allen Kirchen willkommen sind.
Autorin: Daniela Baumann