Wir haben das Privileg, uns in der Schule eingehend mit der deutschen Sprache vertraut gemacht zu haben. Angesichts der vielfältigen Forderungen nach einer geschlechtergerechten Sprache ist jedoch mancherorts die Verwirrung gross, was denn nun eine «korrekte» Schreibweise ist. – Ein Versuch, diese Not zu lindern, anhand einiger grundsätzlicher Überlegungen und praktischer Beispiele.
«Präziser lernt man kaum irgendwo, in welche Richtung die Gesellschaft sich ändert, als im Duden», schrieb die NZZ im vergangenen Jahr aus Anlass der Neuauflage dieses Standardwerks zur deutschen Sprache. Mit anderen Worten: Die Sprache ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung. Da ist es nur logisch, dass sich auch die veränderten Geschlechterverständnisse in unserer Gesellschaft in der Sprache niederschlagen. Die über Jahre gängige Praxis des sogenannten «generischen Maskulinums» – die Verwendung allein der männlichen Form, die sowohl weibliche als auch männliche Personen meint – scheint heute immer weniger mehrheitsfähig zu sein. Duden hat Anfang Jahr das generische Maskulinum abgeschafft. Schweizer Medien kommen mehr und mehr davon ab.
Doch dabei bleibt es nicht. Die explizite Nennung sowohl der weiblichen als auch der männlichen Form («Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter») oder die Verwendung neutraler Formen («Mitarbeitende») ist zwar umständlicher, aber in den meisten Fällen gut handhabbar. Immer mehr halten aber auch Sonderzeichen wie der Gender*Stern, der Gender_Gap oder der Gender:Doppelpunkt Einzug im Sprachgebrauch. Sie stehen für die Mitberücksichtigung einer Vielfalt von Geschlechtsidentitäten über das binäre Mann – Frau hinaus.
Anliegen ja – Umsetzung naja
Dem berechtigten Anliegen der Gleichberechtigung stehen ebenso berechtigte Zweifel an seiner Umsetzung entgegen. Folgende Argumente sprechen gegen ein vorschnelles Abnicken neumodischer Wortschöpfungen, insbesondere solcher mit Sonderzeichen:
Die ideologische Aufladung: Es besteht die Gefahr, dass über eine vermeintlich harmlose Anpassung der Sprache Werte vermittelt werden, die nicht alle gutheissen. Jeder Mensch muss frei bleiben, auch ein traditionelles Verständnis von Geschlecht zu vertreten, unabhängig von der kraftvollen Lobbyarbeit derjenigen, die es anders sehen. Sprache hat auch eine persönliche Seite, die es zu respektieren gilt. Die Art und Weise, wie eine Person spricht oder schreibt, drückt immer etwas über sie selbst und ihre Weltsicht aus.
Der begrenzte Einfluss der Sprache: Dass die gesellschaftlichen Verhältnisse die Sprache beeinflussen, heisst nicht automatisch, dass umgekehrt die Sprache auf die gesellschaftlichen Verhältnisse abfärbt. Die Art und Weise, wie wir schreiben und sprechen, sorgt nicht für tatsächliche Geschlechtergerechtigkeit. Das zeigt einerseits ein Blick in die Geschichte. Man stelle sich vor, einer Frau wäre im vorletzten Jahrhundert die Verwirklichung ihres Berufswunsches mit der Begründung vorenthalten worden, es sei in entsprechenden Reglementen nur von «Anwalt» oder «Arzt», und nicht von «Anwältin» oder «Ärztin» die Rede. Vielmehr waren es die gängigen Vorstellungen und Denkmuster in der damaligen Gesellschaft, die einen solchen beruflichen Werdegang ausschlossen. Andererseits lohnt sich ein Blick auf andere Sprachen und Kulturen. Die türkische Sprache etwa kennt kein grammatisches Geschlecht, gleichzeitig ist die Türkei nicht als Vorbild in Sachen Gleichstellung bekannt.
Die Bedeutung des Geschlechts in der deutschen Sprache: Grammatisches und biologisches Geschlecht haben in der deutschen Sprache nichts miteinander zu tun: «Der Pranger» ist genauso wenig im biologischen Sinn männlich wie «die Gewalt» weiblich und «das Mädchen» sächlich. Die Endung «-er» vieler männlicher Bezeichnungen hat keinen geschlechtsabhängigen Ursprung. Sie dient lediglich dazu, aus einem Verb ein Substantiv zu machen – zum Beispiel aus einer Person, die redet oder schreibt, einen Redner oder Schreiber. Vor diesem Hintergrund ist sogar das zunehmend verschmähte generische Maskulinum zu rehabilitieren.
Die vermeintliche Barrierefreiheit: Der Einsatz von Genderstern und Co. wird damit begründet, niemanden auszuschliessen, geschweige denn zu diskriminieren. Genau diesen Anspruch vermögen die neuen Schreibformen aber nicht einzulösen. Denn durch ihre Umständlichkeit bauen sie neue Barrieren in Form von Verständnisschwierigkeiten für Menschen mit Leseschwäche, Seh- oder Hörbehinderung oder einer kognitiven Einschränkung auf. So stellen Sonderzeichen für Vorleseprogramme ein Problem dar. Hätten diese Interessengruppen eine ebenso starke Lobby, würde die Öffentlichkeit eher über eine Vereinfachung statt über eine Verkomplizierung der Sprache debattieren.
Die Verunstaltung der Sprache: Man muss kein Sprachfetischist sein, um zu bemerken, dass allzu viele Genderregeln das Schreiben erschweren und das Lesen bisweilen zum Hindernislauf machen. Der Umgang mit der Sprache soll auch freud- und lustvoll sein und nicht geprägt von der Angst, potenziell mit jedem dritten Wort in ein Fettnäpfchen zu treten.
Etwas mehr Gelassenheit
So darf den häufig leidenschaftlich geführten Debatten darüber, wie die Geschlechter gerecht in der Sprache abgebildet werden können, getrost mit einer gewissen Nüchternheit begegnet werden. Es steht damit nicht so viel auf dem Spiel, wie die Emotionalität der Auseinandersetzung vermuten lässt. Es gibt gute Gründe, auf massive Eingriffe in die Sprache im Sinn des «Genderns» zu verzichten, ohne damit Diversität und Gleichstellung abzulehnen. Die Sprache ist nicht das richtige (oder zumindest nicht das einzige) Vehikel, um eine gerechtere Gesellschaft zu erreichen. Im schlimmsten Fall wird das einseitige Beharren auf einer geschlechtergerechten Sprache sogar zur Alibi-Übung, die echte Gleichstellung verhindert. Statt sich an starre Regeln und sperrige Wörter zu klammern, gilt es, im konkreten Fall die durchaus vorhandenen kreativen wie praktikablen Möglichkeiten der deutschen Sprache auszuschöpfen.
Ein pragmatischer Mittelweg, wie wir ihn bei der Schweizerischen Evangelischen Allianz eingeschlagen haben, trägt sowohl dem Anliegen der Geschlechtersensibilität in der Sprache als auch ihrer Lesbarkeit und Verständlichkeit Rechnung: Wir schreiben männliche und weibliche Formen aus, sofern dies die Sprache nicht zu langfädig werden lässt. Ansonsten weichen wir auf neutrale Formen aus oder wählen eine Formulierung, mit der geschlechtsbezogene Begriffe umgangen werden können. Zusätzlich verwenden wir in grösseren Publikationen aus Gründen der Lesbarkeit teilweise das generische Maskulinum und weisen darauf hin, dass es nicht geschlechtsspezifisch zu verstehen ist – so übrigens auch im «SEA Fokus».
Autorin: Daniela Baumann
Quellen:
- https://www.nzz.ch/feuilleton/duden-die-neue-ausgabe-aergert-und-vergnuegt-zu-gleichen-teilen-ld.1571590?mktcid=nled&mktcval=165_2020-08-20&kid=_2020-8-19&ga=1&trco= (9.11.2021).
- https://www.nzz.ch/meinung/lassen-wir-die-sprache-menschlich-sein-ld.1433844 (9.11.2021).
- https://www.tagblatt.ch/meinung/kommentare/generisches-maskulinum-es-leben-die-gaertnerinnen-ld.2085137 (9.11.2021).
- https://taz.de/Gendern-als-Ausschlusskriterium/!5782080/ (9.11.2021).
So schreibt…
…die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS)
Die EKS formuliert in ihrem aktuellen Leitfaden «Alle sind eingeladen» (November 2021) das Ziel einer Sprache, die Geschlechtergerechtigkeit zum Ausdruck bringt und trotzdem nicht schwerfällig wirkt. Es wird empfohlen, unterschiedliche Varianten zu verwenden und die Flexibilität der Sprache auszuschöpfen:
- Männer und Frauen ausdrücklich erwähnen: «Migrantinnen und Migranten»
- Plural verwenden: «Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter»
- Substantivierte Partizipien und Adjektive anwenden: «die Studierenden»
- Die Endung «-ung» verwenden: «die Vertretung der Kirchen»
- Substantive mit «-kraft» und «-person» benutzen: «die Pfarrperson»
- Die Sprache der Zeit anpassen: «Pflegefachperson» (statt «Krankenschwester»)
- Institutions-, Amts- und Kollektivbezeichnungen anwenden: «Präsidium»
- Mit «wer» umschreiben: «Wer den Gottesdienst besucht» (statt Gottesdienstbesucher)
- Geschlechtsspezifische Pronomen vermeiden: «alle» (statt «jeder»)
- Mit der Sprache spielen: «Qualifikationsgespräch» (statt «Mitarbeitendengespräch»)
- Neutrale Schreibweise gegenüber weiteren Schreibweisen wenn möglich bevorzugen: «Teilnehmende» (statt «Teilnehmer*in»)
…das Evangelische Gemeinschaftswerk
Das EGW hat keine schriftlich festgehaltenen Regeln zur geschlechtergerechten Sprache und verfolgt eine «unkomplizierte und grosszügige Handhabung», wie Geschäftsleitungsmitglied Thomas Gerber betont. Das heisst, dass auf Ausgewogenheit von männlichen und weiblichen Formen geachtet und häufig das Partizip («Mitarbeitende») verwendet wird. Nicht zum Einsatz kommen Formen wie zum Beispiel der Gender-Stern oder -Doppelpunkt, da sie schwer lesbar seien und sich nicht durchgesetzt hätten.
…die Stiftung Wendepunkt
Die Sozialunternehmung für berufliche und soziale Arbeitsintegration orientiert sich in der Kommunikation zurzeit an den Richtlinien des Kantons Aargau, so die Kommunikationsleiterin Simone Frei. Das bedeutet, dass die Stiftung Wendepunkt in erster Linie beide Formen ausschreibt, also etwa von «Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern» spricht. Sie macht aber auch Gebrauch von geschlechter-indifferenten Begriffen («Mitarbeitende») oder neutralen Pluralformen («Lehrpersonen»). In einzelnen Fällen wie Inseraten wird die Verkürzung mit einem Schrägstrich verwendet, so zum Beispiel «Gruppenleiter/in» in Stellenausschreibungen.
…das Theologische Seminar St. Chrischona (tsc)
Für das tsc wird das generische Maskulinum – das blosse «Mitmeinen», aber nicht sichtbare Benennen des anderen Geschlechts – dem Anliegen der Gleichberechtigung nicht gerecht. Entsprechend hat die theologische Ausbildungsstätte einige Leitlinien verabschiedet:
- Texte nicht nur schreiben, sondern auch sprechen können: Nach diesem Grundsatz sind Konstruktionen mit Binnen-I («StudentIn»), Gender_Gap, Gender*Stern, Klammern oder Schrägstrichen («Dozent/in») zu vermeiden.
- Die bisher «Mitgemeinten» sichtbar werden lassen: Die Geschlechter werden mit einer Doppelbezeichnung abgebildet («Studentinnen und Studenten»). Nur in Ausnahmefällen sollen hingegen Partizipialkonstruktionen («Studierende»), Institutionen («Rektorat») oder Passivformulierungen zum Einsatz kommen.
- Korrekt sprechen und schreiben: Die vielfältigen Formulierungsmöglichkeiten der deutschen Sprache sollen kreativ genutzt werden. Gleichzeitig wird an dieselbe Sensibilität im Umgang mit der Sprache appelliert wie im zwischenmenschlichen Miteinander.