Die Bedeutung der Kapstadt-Verpflichtung für die Evangelische Allianz
Im Jahr 1974 wurde ich geboren und nur einige Monate später fand in Lausanne ein historisches Treffen statt. 2300 christliche Leitungspersonen aus 150 Ländern folgten der Einladung von Billy Graham an den Genfersee. Dort verpflichteten sie sich, «feierlich vor Gott und voreinander, für die Evangelisation der ganzen Welt zusammen zu beten, zu planen und zu wirken». Dieser Verpflichtung haben sich bis heute Tausende Organisationen und Kirchen, ja Millionen von Menschen rund um den Globus angeschlossen. Auch die SEA beruft sich auf diese Lausanner Verpflichtung.
Weil mein Geburtsjahr mit dem der Lausanner Bewegung zusammenfällt, hat mich diese Bewegung bereits als junger Theologiestudent nicht nur von ihrer Zielsetzung her begeistert, sondern auch emotional bewegt. Ich war deshalb überglücklich, als 2010 ein Mitglied der Schweizer Delegation für den dritten Weltkongress der Bewegung mich anrief und fragte, ob ich an seiner Stelle nach Kapstadt reisen könnte.
Vom 16. bis 25. Oktober 2010 fand in Südafrika der Kongress für Weltevangelisation statt. Er wurde in Zusammenarbeit mit der Weltweiten Evangelischen Allianz durchgeführt. Die Verantwortlichen aus allen Kontinenten verabschiedeten mit der Kapstadt-Verpflichtung ein Dokument in der Tradition der Lausanner Verpflichtung, das sowohl Glaubensbekenntnis als auch Handlungsaufforderung ist.
Das Treffen wurde nicht nur für mich persönlich zu einem Schlüsselereignis. Über 4000 Delegierte versammelten sich, um darüber nachzudenken, wie der Auftrag von Jesus Christus heute gelebt werden kann. Die 22-köpfige Schweizer Delegation knüpfte mehr als nur gute Freundschaften zu Delegierten aus anderen Ländern. Sie verfasste auch einen Schlussbericht, in dem sie erklärt, was für die Christen in der Schweiz für die kommenden Jahre von Bedeutung sein soll:
«Als Schweizer Delegation des Kongresses … wissen (wir), dass ohne Einheit und Versöhnung innerhalb des Leibes Christi das Verkündigen der Versöhnungsbotschaft des Evangeliums unglaubwürdig ist.» Die Delegation verpflichtete sich, in folgenden Bereichen weitere Schritte der Versöhnung zu gehen, um den Missionsauftrag Jesu wirklich ganzheitlich zu leben:
- zwischen den verschiedenen Landesteilen und Sprachregionen
- im Umgang mit Migranten
- unter den verschiedenen Kirchen und Denominationen
- zum Platz von Mann und Frau in der Kirche
Wenn ich heute auf die gut zehn Jahre zurückblicke, die seither vergangen sind, freue ich mich, dass wir eine sehr gute Zusammenarbeit über den «Röstigraben» haben. Ich freue mich über die wachsende Sensibilisierung betreffend interkulturelle Zusammenarbeit mit Migrationskirchen und das Engagement im Asyl- und Flüchtlingswesen. Aber ich sehe noch Potenzial, was die bewusste und strategische Zusammenarbeit von Kirchen verschiedener ethnischer Prägung anbelangt. Das Miteinander der Kirchen allgemein wurde zudem in der Pandemiezeit arg auf die Probe gestellt. Wir sind neu herausgefordert, zu bedenken, was ein versöhntes Miteinander bedeutet angesichts unterschiedlicher Deutungen der Ereignisse rund um die Corona-Pandemie.
Schliesslich trifft die intensiv geführte Gesellschaftsdebatte zu Geschlechtergerechtigkeit die Christen in der Schweiz nicht ganz unvorbereitet. Die Rollenverständnisse von Mann und Frau wurden in der Kirche bereits vor der #MeToo-Debatte reflektiert und bereits in Kapstadt wurde formuliert: «Wir legen jegliche Art von geschlechterspezifischer Diskriminierung ab und fördern Frauen und Männer gabengemäss, damit sie die vorbereiteten Werke Gottes tun können.»
Ich bin gespannt, welche Inspirationen uns die nächste europäische Zusammenkunft der Lausanner Bewegung diesen November in Polen bringen wird. Es werden wieder über 20 Personen aus der Schweiz teilnehmen.
Autor: Marc Jost