Passt die DNA der SEA noch?

Die Bewegung der Allianz zeichnet sich seit den Anfängen durch den Mut aus, für zentral gehaltene Wahrheiten des Glaubens zu benennen. Einheit, die Vielfalt weckt, ist nur möglich auf der Grundlage der christlichen Wahrheit. Passt das noch in die heutige Zeit mit ihren ideologischen Umbrüchen und verschiedenen Wahrheiten?

Ein geschichtlicher Rückblick aus dem Jahr 1851 würdigt die Schweiz für ihre aktive Beteiligung an der Vision, die zur Gründung der Evangelischen Allianz 1846 in London führt.1 Vorne dabei ist Merle D’Aubigné, der in der Genfer Erweckung (dem «Réveil») mitwirkt. Nach einem Treffen in St. Gallen ruft er leidenschaftlich:

Die Reformation des 16ten Jahrhunderts hat getheilt, diejenige des 19ten Jahrhunderts soll der Kirche wieder Freiheit, Einheit in der Wahrheit bringen… Alles soll frey sein, nur Christus soll gelten… Warum aber nicht handeln, warum immer berathen?2

D’Aubigné ist in Aufbruchsstimmung! Freiheit liegt in der Luft. Handeln statt nur reden. Es darf auch gross werden! Der Satz «Freiheit und Einheit in der Wahrheit» ist wichtig für die Aufbruchsstimmung und Vision der grossen Bewegung der Allianz. Heute hört man eher den Slogan «Einheit in der Vielfalt», während verschiedene Wahrheiten mit Ambiguitätstoleranz ausgehalten werden sollen. D’Aubigné sieht es anders. Einheit muss in einer Wahrheit gegründet sein und Vielfalt ist eine Frucht davon.

«Ja» und «Nein» sagen

Gerade weil den Allianz-Christen Einheit und Vielfalt wichtig ist, investieren sie viel in die Formulierung für zentral gehaltener Wahrheiten des Glaubens. Sie wissen, wozu sie «ja» sagen, und wissen deshalb auch, wozu sie «nein» sagen. So führt das Ja zur Trinität und Inkarnation dazu, dass die Delegation der Unitarier in der Gründerzeit der Allianz frühzeitig eine Konferenz in Genf verlässt und nicht Teil von ihr wird.3 Das Ja zur Würde aller Menschen führt zu einem Nein der britischen Allianz, Sklavenhalter als Mitglieder zuzulassen. Es fehlt ihnen nicht an Mut, Wahres zu sagen: «Wir bestimmten die universelle Regel, dass Sklavenhaltung eine Sünde ist, und… eine Person inakzeptabel macht für die Gemeinschaft in der christlichen Kirche.»4

Allianz-Christen weisen dadurch ein feines Sensorium für ideologische Strömungen auf. Das 1853 von der Evangelischen Allianz preisgekrönte Buch von Thomas Pearson5 entlarvt die nicht-christlichen Ideologien des Atheismus, Pantheismus, Naturalismus, Spiritualismus, Indifferentismus und Formalismus als dem Evangelium entgegengesetzt. Leider würden sie aber manchmal dennoch von den Kanzeln der Kirchen gepredigt, meint er. Allianz-Christen sind aber nicht grundsätzlich kritisch gegen die Welt. So wertet J. Stoughton 1854 in einem Aufsatz für die Allianz die damals spürbare Zunahme an allgemeiner Bildung als eine Wirkung des Heiligen Geistes, während die wachsende wirtschaftliche Vernetzung viele Gefahren berge.6 Allianz-Christen haben geistliche Unterscheidungsfähigkeit.

Passt die Gründer-DNA noch in die heutige Zeit mit ihren ideologischen Umbrüchen? Ich antworte mit einem entschiedenen Ja! Unsere Zeit hat die eine oder andere Ideologie zur Liste hinzugefügt, aber die Art, wie Christen in einem derartigen Umfeld zusammengeführt werden, ist heute noch gleich. Die Gründer-DNA passt und darf die heutige SEA inspirieren. Die SEA darf an ihrem Jubiläum Aufbruchsstimmung aufkommen lassen, mutig Grosses denken und den lebendig gelebten Glauben an Christus betonen.

Wahrheit, die Einheit möglich macht

Auch heute wird Einheit, die Vielfalt weckt, auf der Grundlage einer inhaltlichen Klärung von christlicher Wahrheit stehen. Die SEA muss auch heute wissen – und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern auch in Kopf und Herz –, was die Wahrheit ist, die diese Einheit möglich macht. Bei nicht-zentralen Wahrheiten ist Ambiguitätstoleranz durchaus wichtig, bei den zentralen Wahrheiten führt diese jedoch letztlich zur Zerstörung der gelebten Einheit und damit verbundenen Vielfalt. Die SEA ist prädestiniert, in der aktuellen Zeit mutig «ja» und auch mutig «nein» zu sagen, ganz im Sinne von Jesus in der berühmten Bergpredigt «Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein.»7

Autor: Paul Bruderer

1 vgl. Dr. King: Historical scetch of the evangelical alliance, in: The religious condition of Christendom anlässlich der 5. Jahreskonferenz der Britischen EA. 1851, 33 (eigene Übersetzung).
2 D’Aubigné, Merle, zitiert in: Einheit auf evangelischer Basis. 394.
3 vgl. Dr. King, 1851, 46 (eigene Übersetzung).
4 James J.A.; Dr. King; Dr. Candlish: The Evangelical Alliance – will slaveholders be admitted to membership in it? 1845, 8 (eigene Übersetzung).
5 vgl. Pearson, Thomas: Infidelity, its aspects, causes and agencies. 1853.
6 vgl. J. Stoughton of Kensington: The Work of the Spirit in relation to the age in which we live. 1854.
7 Mt 5,37.

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