«Die Welt verändert sich kontinuierlich und rasant. Was bräuchte es Ihrer Meinung nach, damit die Kirche in der Schweiz mehr Leib wird – eine Einheit in Vielfalt, organisch und agil, vielleicht so ähnlich wie ein Vogel- oder Fischschwarm?» Diese Frage umreisst die Vision hinter der Konsultation zu Mission, einem Projekt, das die Missions- und Entwicklungsorganisation «Life In Abundance» (LIA) mit verschiedenen Partnern durchführt.
Wir durchleben eine Zeit, in der viele unserer Paradigmen – die Brillen und Herangehensweisen, die uns lange Jahre gute Dienste erwiesen haben – erschüttert werden. Zeiten von Veränderung und Chaos sind immer auch Chancen, sich neu zu formieren. Aus diesem Grund sucht LIA derzeit das Gespräch mit Verbandsleitern und Pastoren, um zu erfahren, wie sie die aktuelle Lage der Schweizer Kirche einschätzen, insbesondere den Aspekt der «Mission». Wo sehen sie Chancen, wo Herausforderungen und wie sind die verschiedenen Denominationen, Netzwerke und Kirchen aufgestellt, um in der heutigen Zeit Glauben und Hoffnung zu teilen? Der Begriff «Mission» wird dabei von den Teilnehmenden selbst definiert und kann sowohl Evangelisation wie auch soziales Engagement in der Schweiz und im Ausland umfassen.
Synergien unter missionalen Akteuren in der Schweiz
Die Konsultation soll Gelegenheit schaffen, gemeinsam durch die stürmische See der Veränderung zu navigieren. Der daraus entstehende Bericht wird einen Überblick zum aktuellen Denken über Mission sowie zur missionalen Praxis in Schweizer Kirchen bieten. Vorerst konnten vor allem freikirchliche Verbände für dieses Projekt gewonnen werden; die Initiatoren hoffen aber, auch Interviews mit Leitungspersonen der Landeskirchen führen zu können. Obwohl der Fokus der Befragung auf Kirchen liegt, sollen zu einem späteren Zeitpunkt auch Missions-, Sozial- und Hilfswerke einbezogen werden. Denn das Ziel ist es, mit der Konsultation die Grundlage für weiterführende Projekte zu legen, bei denen es darum gehen wird, Synergien und «Best Practices» unter verschiedenen missionalen Akteuren in der Schweiz zu stärken und zu entwickeln.
Die Konsultation wird in Partnerschaft mit der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA, ihren Arbeitsgemeinschaften AEM und Interaction sowie dem Dachverband Freikirchen.ch durchgeführt. Begleitet wird sie von einem Beratungsausschuss, der aus Theologen und Missiologen verschiedener christlicher Ausbildungsstätten (Bienenberg, IGW, ISTL, TSC, HET-PRO) besteht. Diese Fachpersonen haben bei der Erstellung des Interview-Leitfadens mitgewirkt und werden ihre Expertise auch für die Auswertung der Ergebnisse zur Verfügung stellen. Die operativen Kosten des Projekts werden von LIA getragen und sind ein Geschenk an die Kirche in der Schweiz.
Kirchen für ganzheitliche Transformation
Aktuell laufen die qualitativen Interviews, weshalb an dieser Stelle noch nicht über Resultate berichtet werden kann. Stattdessen komme ich kurz auf die Frage zu sprechen, wie es dazu kam, dass LIA eine Konsultation zu Mission in der Schweiz lanciert.
Die von der kenianischen Ärztin Florence Muindi gegründete Missions- und Entwicklungsorganisation Life In Abundance rüstet lokale Kirchen in 14 Ländern in Afrika und der Karibik aus, in ihrer Region einen ganzheitlichen Transformationsprozess anzustossen: Verschiedene Kirchen schliessen sich regional zusammen, um eine Vision für gemeinsame, soziale Projekte zu entwickeln. Dabei geht es immer darum, der ärmsten Bevölkerung Zugang zu wirtschaftlicher Entwicklung, Bildung und einer grundlegenden Gesundheitsversorgung zu verhelfen.
Aufgrund eines prophetischen Eindrucks war es Florence Muindi ein Anliegen, dass Life In Abundance auch der Kirche in der Schweiz dienen sollte. So entstand die Idee, eine Standortbestimmung zum Thema «Mission» durchzuführen. Nach informellen Gesprächen mit Leitungspersonen und ermutigt durch die positive Resonanz und die Anregungen verschiedener Verbands- und Missionsleiter wurde das vorliegende Projekt entwickelt.
Autorin: Dr. Julia Henke
«Kultur frisst Strategie zum Frühstück…»
Ist Mission ein Projekt oder ein Lebensstil? Diese provozierende Frage haben wir uns in der Kirche im Prisma schon vor Jahren gestellt. Wir möchten Mission, das Weiterverbreiten des Evangeliums und diakonisches Engagement, nicht als Projekt verstehen, sondern bewusst mit Überzeugung leben. Das tun wir anhand von sieben konkreten Werten:
1. Wir verbreiten die gute Nachricht aus Überzeugung! Wir sind begeistert von Jesus. Begeistert auch von der Erlösung, die wir nur in ihm finden. Aus diesem Beschenktsein von Gott selbst wollen wir andere beschenken.
2. Jeder Mensch darf die Gute Nachricht von Jesus so verbreiten, wie es ihm entspricht. Es gibt nicht eine richtige Art; die Stile sind so vielfältig wie die Menschen.
3. Wir wollen uns für Menschen echt interessieren. Sie sind keine Bekehrungsobjekte, sondern Menschen mit einer eigenen Geschichte, mit Sorgen und Freuden.
4. Wir wollen uns ganz bewusst in Menschen investieren, indem wir für sie beten, ihnen zuhören und Zeit mit ihnen verbringen.
5. Wir verbreiten die Gute Nachricht, indem wir anderen von Jesus erzählen und von dem, was wir mit ihm erleben.
6. Wir möchten Menschen einladen. Einladen zum Beispiel in einen Gottesdienst oder in einen Alphalive-Kurs oder noch besser in eine persönliche Beziehung zu Jesus.
7. Bei all dem sind wir uns bewusst, dass wir auf die Kraft und die Führung des Heiligen Geistes angewiesen sind. Das entlastet und macht diesen Lebensstil zudem enorm spannend.
Auf Basis dieser Werte bieten wir beispielsweise Alphalive-Kurse an und unterstützen Flüchtlinge. Die Frage lautet jedoch: Machen wir evangelistische und diakonische Projekte oder leben wir einen Lebensstil, der ansteckend und einladend ist? Kultur ist immer stärker als Strategie und darum ist es unser langjähriges Projekt, eine Kultur zu schaffen, wo Menschen authentisch, missionarisch und diakonisch leben – aus Überzeugung.
Autor: Reto Pelli
«Warum Mission mir keinen Angstschweiss mehr auf die Stirn treibt»
Von der Esoterikmesse zur «Kirche ohne Mauern»: RöNee Steiner von der Vineyard Olten berichtet, was passieren kann, wenn eine Kirche ihre Gemeinschaft nicht mehr nur hinter Kirchenmauern lebt.
Für mich begann die Reise am 16. April 2011. Ich stehe auf der «Marsbühne» an der Esoterikmesse in Olten. Mein Thema: «Überrascht von der Kraft des Himmels.» Etwa 35 kirchenferne Menschen hören zu. Ich erzähle, wie wir im Namen Jesu Hände auf Kranke legen und dabei Erstaunliches erleben. Schliesslich stelle ich einen Stuhl in die Mitte und frage, wer Heilung empfangen möchte. Und Jesus taucht auf. Er heilt eine Frau von langjährigen Beschwerden. Wir beten für mehrere Personen. Tränen fliessen. Jeder im Raum spürt, dass hier etwas ganz Aussergewöhnliches vor sich geht. Und kirchenferne Menschen machen eine Gotteserfahrung.
Rückblickend war das die Geburtsstunde unserer missionalen Gemeinschaften in der Vineyard Olten. Unter dem Motto «Kirche ohne Mauern» wollten wir unsere Gemeinschaft nicht mehr nur «hinter Kirchenmauern» leben, sondern zusammen mit kirchenfernen Menschen auf den Strassen, im Park oder Wald, im Altersheim, beim Essen mit Bedürftigen. So sollte etwas von der Dynamik und Energie des Reiches Gottes für Menschen spürbar werden, die sich wohl nie in einen Gottesdienst verirren würden.
Zehn Jahre später können wir auf eine Geschichte zurückblicken, in der mehr als 100 Menschen zum Glauben gekommen sind. Viele «ganz normale» Nachfolgerinnen und Nachfolger von Jesus wurden zudem befähigt, missional zu leben, für kirchenferne Menschen zu beten und über ihren Glauben zu reden.
Was ist eine missionale Gemeinschaft?
Als Jesus seinen Dienst beginnt, landet er ziemlich bald im Haus des Petrus in Kapernaum. Er ruft ihn, Andreas und seine beiden Geschäftspartner Jakobus und Johannes in die Nachfolge, heilt dessen Schwiegermutter und macht diesen Ort zum Hotspot seines Dienstes.[1] Für mich ist dieses Haus eine Art Urbild von missionaler Gemeinschaft: 15 bis 40 Menschen, die als erweiterte Familie das Leben gemeinsam gestalten und ein Quartier, ein Dorf, eine Stadt, eine Region, eine Firma, eine Subkultur oder ein Beziehungsnetzwerk mit dem Evangelium erreichen wollen. Nicht die Bedürfnisse der Christen, sondern die missionale Vision ist dabei die treibende Kraft der Gemeinschaft: «Ich mache euch zu Menschenfischern.»[2] Freunde, Familie, Nachbarn und Kollegen sind eingeladen, Teil der Gemeinschaft zu werden. Es soll weniger «Programm» und mehr gemeinsames Leben sein. Alltag und Gegenwart Gottes vermischen sich. Und Mission wird zum «Teamsport».
Bei Jesus führt das dazu, dass am Abend die ganze Stadt an der Türe dieser missionalen Familie steht.[3] Menschen sehnen sich nach dieser Art von Gemeinschaft, die mit den Kräften des Reiches Gottes erfüllt ist.
Organisch und organisiert
So ist in den letzten Jahren rund um die Vineyard Olten und Wiggertal etwa ein Dutzend «Communitys» entstanden. Die meisten treffen sich zwei- bis dreimal im Monat zu Family Treffen, «Micro Church», «IN Anlass» oder House Party. Dort wird gemeinsam gegessen, gefeiert, von Erlebnissen mit Gott erzählt und in der Bibel gelesen. Menschen wachsen in einen missionalen Lebensstil hinein. Manche Communitys machen einmal im Monat einen «Mission Day» auf Spielplätzen, Turnhallen, in Parks oder auch im eigenen Garten. Andere führen Glaubensgrundkurse durch, veranstalten Kochabende oder sammeln Lebensmittel für Bedürftige. Eine Community ist regelmässig mit «Heilung auf der Strasse» unterwegs. Doch nebst diesen «organisierten» Rhythmen passiert vieles organisch. In einer Community sind zum Beispiel die Männerabende mit Filmen, Champions League und gutem Wein besonders beliebt.
Autor: RöNee Steiner
[1] vgl. Mk 1
[2] Mk 1,17
[3] vgl. Mk 1,33