Mission im Kontext der Post-COVID-19 Ära

Covid-19 veränderte die Welt, die internationalen Beziehungen und die Missions- und Gemeindearbeit in grundlegender Weise, wie das Anfang des 21. Jahrhunderts kaum jemand für vorstellbar gehalten hätte. Ausgehend vom matthäischen Missionsbefehl fragt dieser Artikel nach dem Kernauftrag der Missions- und Gemeindearbeit, ihren veränderten methodischen Herausforderungen und neuen Möglichkeiten für die Zeit nach Covid-19.

Wir erleben die Corona-Pandemie als disruptiven Transformationsprozess im Gesundheits- und Bildungswesen, in der Wirtschaft, in Non Government Organisationen und Religionsgemeinschaften. Die Veränderungen schränken unsere individuellen Handlungsfelder, demokratischen Rechte und Freiheiten ein. Sie können auch zu Hilflosigkeit, Überforderung, sozialer Isolation und Einsamkeit führen und zu einer kaum vergleichbaren Überschuldung unserer Staatswesen. Missions- und Hilfswerke kämpfen teilweise mit empfindlichen Spendenrückgängen und enormen sozioökonomischen Verwerfungen in den Ländern der südlichen Hemisphäre, mit denen sie partnerschaftlich zusammenarbeiten. Eine massive Zunahme der weltweiten Armut ist eine direkte Folge von Covid-19.[1] Es ist davon auszugehen, dass die ökonomischen Konsequenzen der Corona-Pandemie schlimmer sein werden als nach der globalen Finanzkrise von 2008.[2]

Nach der Phase der Individualisierung, Globalisierung und Digitalisierung führt die Pandemie zu einer gesellschaftlichen Entschleunigung im Konsumverhalten, in sozialen Kontakten und im Freizeitverhalten. Gleichzeitig begünstigt sie einen kaum dagewesenen Beschleunigungsprozess in der Forschung, Wirtschaft und im Bildungswesen, deren Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Berechtigte Fragen an die international tätigen Missionswerke, Kirchen- und Gemeindeverbände werden bereits heute gestellt und erfordern eine selbstkritische Reflektion. Letztlich geht es darum, die Relevanz des Christentums in der heutigen Gesellschaft nicht zu verlieren.[3]

Der Artikel thematisiert im ersten Teil die Frage nach dem Grundauftrag christlicher Mission und im zweiten Teil die methodischen Herausforderungen nach der Covid-19 Ära.

1. Inhaltliche Schwerpunkte der Mission

In sieben Artikeln definiert die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) ihre konsensorientierte Glaubensbasis als Bekenntnis zum inspirierten, unfehlbaren, vertrauenswürdigen Wort Gottes als Massstab für Leben und Handeln; zum einen Gott, der ewig existiert in drei Personen, Vater, Sohn und Heiliger Geist; zur Inkarnation, stellvertretenden Opfertod, Auferstehung, Himmelfahrt und persönlichen Wiederkunft Jesu Christi; zum Heiligen Geist, der in den Gläubigen wohnt und sie befähigt zu einem heiligen Leben, Zeugnis und Werk für Jesus Christus; zur Einheit aller Gläubigen, der Kirche und des Leibes Christi; zur Auferstehung der Geretteten zum ewigen Leben und der Verlorenen zur Verdammnis.[4]

Darüber hinaus bietet die Lausanner Verpflichtung 1974 in 15 Artikeln eine verlässliche Orientierung und Grundlage über ein ganzheitliches Evangelisations- und Missionsverständnis, das sich jenseits eines engführenden Fundamentalismus und eines säkularen Humanismus definiert.[5] Die Lausanner Verpflichtung ist bis heute statutarischer Teil und Grundkonsens vieler theologischer Ausbildungsstätten, Netz- und Missionsgesellschaften in der nördlichen und südlichen Hemisphäre.

Die Glaubensbasis der WEA und die Lausanner Verpflichtung werden die Glaubwürdigkeit und weltweite Zusammenarbeit evangelischer Missions- und Hilfswerke und ihrer Kirchen und Gemeinden bestimmen. Sie sind allgemeinverständlich, konsensorientiert in ihren «basics» und offen in Nebenfragen der ekklesiologischen Orientierung, Taufpraxis und eschatologischen Detailaspekten.

Die Glaubensgrundlage der WEA und das Evangelisations- und Missionsverständnis der LV schaffen zudem Vertrauen und Sicherheit, Partnerschaften in vielen Teilen der Welt einzugehen und zu vertiefen, damit das Evangelium von Jesus Christus ausgebreitet wird und Menschen eine neue Lebensperspektive unter der Herrschaft Gottes finden.

Mission im Kontext der Post-Covid-19 Ära bedarf aber auch einer ehrlichen an der Bibel orientierten theologischen Rückbesinnung auf den Kernauftrag christlicher Mission.

2. Rückbesinnung auf den Kernauftrag der Mission

«Descipleship» (Jüngerschaftsschulung) gehört zum Kernauftrag der Gemeinde Jesu Christi. Sie ist nicht eine Option, sondern festes und klar umrissenes Programm der Sendung der Apostel durch Jesus Christus: «Machet zu Jüngern, indem ihr hingeht, tauft und lehrt» (Mt 28,19). Sie bestimmt inhaltlich die Hauptrichtung für das Selbstverständnis und die Berechtigung christlicher Mission.

Der Missionsbefehl bei Matthäus steht im Kontext der Auferstehungsberichte. Hinter dem Befehl steht der Befehlende selbst, Jesus der auferstandene Herr.[6] Der Befehl umfasst im griechischen Neuen Testament vier Hauptverbformen: machet zu Jüngern, indem ihr hingeht, indem ihr tauft und indem ihr lehrt, wobei «machet zu Jüngern» der kontrollierende Imperativ ist, während die restlichen drei Verbformen Partizipien sind, die den Imperativ genauer definieren.

Hauptinhalt der Mission nach Matthäus ist der Auftrag des Auferstandenen «machet zu Jüngern, indem ihr geht, tauft und lehrt». Herrschaftsanspruch Gottes im Leben des Menschen, zu Nachfolgern Christi machen, indem wir gehen, taufen und lehren, ist also der schwerpunktmässige Inhalt des Auftrages des matthäischen Missionsbefehls.

Die Jüngerschaftsschulung hat ihr Vorbild im Lehrer-Schüler- und Vater-Sohn- Verhältnis. Georg Friedrich Vicedom betont eindrücklich, dass die Mission auf Erden ihre Basis in den Jüngern hat, «die sich Jesus auch heute noch sammelt und die zur Trägerin der Mission wird».[7] Jünger sind Frauen, Männer und Kinder, die die Lehre Jesu hören, verstehen und befolgen.[8] Jüngerschaftsschulung umfasst den ganzen Menschen mit allen seinen Bedürfnissen des Körpers, der Seele und des Geistes. Sie will ganzheitlich bezeugt und gelebt werden. «Zu Jüngern machen» und «die Jünger alles lehren, was Jesus gelehrt hat» umfasst die ganze Lehre Jesu Christi für die Menschen, die er in seine erneuernde Gemeinschaft rufen will.[9]

Jüngerschaftsschulung ist auch ein Topthema der WEA. Für die nächsten zehn Jahre lancierte sie die Initiative «The Decade of Disciple Making 2020-2030». Die Initiative basiert auf der Grundüberzeugung, dass «Every Christian, no matter how old or young, how mature or immature, should be a disciple, and every disciple should become a disciple-maker.»[10]

Einzelnen Christen, Familien und Kindern, Kirchen und Gemeinden und ihren Leitern bietet die WEA eine Vielfalt von Schulungsmöglichkeiten und praktischen Instrumenten an zur Umsetzung einer zeitgemässen Jüngerschaftsschulung.[11]

2012 entstand Global Outreach Day. Ehrgeiziges Ziel der Bewegung ist, möglichst viele Christen für Evangelisation, Gebet und Einübung in Jüngerschaft zu motivieren. In der Zwischenzeit hat sich die Zielsetzung von Global Outreach Day von einem Tag zur Jahrzehnt-Bewegung GO 2020 erweitert. In den kommenden zehn Jahren sollen alle Menschen das Evangelium hören. Weltweite Missionsbewegungen und interkontinental operierende Netzwerke haben sich GO 2020 angeschlossen, darunter die WEA, Campus für Christus, Evangelisation Explosiv und andere.[12] GO 2020 bietet elektronische Materialien, Videos und Schriften an zur persönlichen Evangelisation und ein Programm in Jüngerschaftsschulung.

Life on Stage hat in der Schweiz auf vorbildliche Weise gezeigt, dass modern vernetzte Evangelisation mit einem klaren biblischen Profil, die Menschen zu gelebter Christusnachfolge einlädt, Früchte trägt.[13] Vorstände, Kommissionen, Mitglieder und Freunde Evangelischer Missionswerke, Kirchen und Gemeinden haben eine grosse Verantwortung, dass ihre Projekte, Budgets und Pläne in personeller und finanzieller Hinsicht tatsächlich dem Kernauftrag der Jüngerschaftsschulung gerecht werden. Es genügt nicht, die sozio-ökonomischen Missstände in der südlichen Hemisphäre allein mit grossen Hilfsprogrammen und Finanzspritzen zu mildern. Berufene, begabte und kreative Köpfe sind gefragt, dass es in den Herzen der Menschen, denen wir dienen wollen, zu einem umfassenden Mentalitätswechsel kommt. In Bekehrung und Wiedergeburt sollen sie unter der Herrschaft Jesu Christi frei werden vom Egotrip und von persönlicher Schuld und dann als neue Menschen nachhaltige Zeichen der Hoffnung setzen in einer zutiefst verunsicherten Epoche der neueren Geschichte.

Wesentlich komplexer ist die Frage, wie der Kernauftrag der Mission, «Machet zu Jüngern», konkret mit adäquaten und zeitgemässen Missionsmethoden umgesetzt werden kann.

3. Methodische Herausforderungen der Mission

Für die Zeit nach der Pandemie ist eine Dynamisierung missionsmethodischer Angebote von Missions- und Hilfswerken, Kirchen und Gemeinden gefragt. Die Vielfalt von Advents- und Weihnachtsangeboten 2020 lässt etwas von der Kreativität und Flexibilität der weltweiten christlichen Kirchen und ihrer Mission aufleuchten. Dazu gehören gemeinschaftsstiftende und -fördernde Angebote, die Wiederbelebung des allgemeinen Priestertums, gezielte Nachwuchsförderung in geistlicher Leiterschaft, kreative Gottesdienstformate, Förderung der Online-Lehrtätigkeit und eine kritische Evaluation der Mobilitätspraxis.

3.1 Gemeinschaftsstiftende und -fördernde Angebote

Der schweizerische Nationalratspräsident 2021 Andreas Aebi bringt es auf den Punkt, wenn er in einem Interview mit dem Magazin IDEA betont: «Kirchen sollen Menschen in ihrer Einsamkeit abholen.»[14] Gemeinschaftsstiftende und gemeinschaftsfördernde Formate sind eine prioritäre Antwort auf die Vereinsamung von Alten, Betagten und alleinstehenden Menschen. Dazu gehören unter anderem der Ausbau der Coaching- und Seelsorgeangebote via Internet, Telefon und Skype, praktische Anleitung von Gemeindegliedern zu Mental Health-Talk, Outdoor-Kurzgottesdienste, Parallelgottesdienste mit begrenzter Besucherzahl mit und ohne TV-Übertragung, Einkaufsangebote für Senioren, Ausbau und Finanzierung von privaten palliativ-medizinischen und seelsorgerlichen Angeboten, Mini-Hauskreise und Bibelstunden als Zoom- oder Whatsapp-Meetings, Alphalive-Kurse und anschauliches Jüngerschaftsmaterial über das Internet, neue Kooperationsformen von mehreren Kirchen mit gemeinsamen örtlichen oder regionalen Medienauftritten via Livestream über Youtube, Zoom, Cisco Webex, inklusive Nacharbeitsangebote vor Ort und telefonischer Besuchsdienst via Skype, Whatsapp, Telegram, Handy und Festnetztelefon für Einsame, Kranke und Betagte.

Elektronische Angebote eignen sich hervorragend in den Millionenstädten des globalen Südens mit stabilen Internetverbindungen. Über das Mobiltelefon sind trotzdem vielerorts bedrängte und verfolgte Christen mit kurzen Bibeltexten und Videoclips erreichbar. Schwieriger sind digitalisierte Formate in ländlichen, weniger entwickelten und schwer zugänglichen Gebieten der südlichen Hemisphäre. Es ist ratsam, dass Missions- und Hilfswerke sich je nach Land, Sprache, Kultur und zivilisatorischer Entwicklung über die Situation vor Ort gründlich informieren, die Empfindungen der Gemeinden respektieren und dann in partnerschaftlicher Zusammenarbeit digitale Formate anbieten und lokale christliche IT-Spezialisten ausbilden.

Missionsspitäler in der Zweidrittelwelt sind prädestiniert, ihre Kliniken, ihr Fachpersonal und ihr Know-how für regionale und nationale Covid-19-Impfaktionen zur Verfügung zu stellen. Damit können sie einen nachhaltigen Beitrag zur Überwindung der weltweiten Covid-19-Pandemie leisten und zeigen, dass Gottes Liebe und Fürsorge allen Menschen gilt. Kirchen und Missionswerke in der westlichen Hemisphäre gewinnen trotz Corona gesellschaftliche Relevanz, wenn sie ihre Komfortzone verlassen und vermehrt auf die Menschen zugehen. Dazu gehören gemeinschaftsstiftende und gemeinschaftsfördernde, kreative, diakonische Kurzeinsätze einzelner Gemeindeglieder, Praktikanten, Hauptamtlichen von Kirchen und Missionsgesellschaften: Einkaufen, Hausreinigung, Essenszustellung für Betagte und Kranke bis hin zu häuslicher Pflege, Beratung und in dringenden Fällen finanzieller Direkthilfe.

Überschaubare gemeinschaftsstiftende und -fördernde Kleinprojekte werden deshalb in der Post-Covid-19-Ära weltweit an Bedeutung gewinnen. Sie entsprechen den «notae ecclesiae» aus Apg 2,42 als eines der Kennzeichen lebendiger Gemeinde. Koinonia als biblischer Personalbegriff vollzieht sich stets horizontal in solidarisch gelebter Gemeinschaft der christlichen Gemeinde und vertikal in trinitarischer Gemeinschaft mit Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es auch der Apostel Johannes bezeugt (vgl. 1 Joh 1,3). Koinonia ist weit mehr als ein Kernbegriff neutestamentlicher Ekklesiologie. Sie wird in der Tagesagenda des weltweiten Leibes Jesu Christi einen weit grösseren Stellenwert gewinnen als bisher. Hier liegt eine der grössten methodischen Herausforderungen und auch Chance für Kirche und Mission für die Zeit nach Corona.

3.2. Die Wiederentdeckung des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen

Eine Dynamisierung der Methoden ist gefragt. Dazu gehört auch die Wiederentdeckung der bewährten pietistischen Befähigung aller Gläubigen zum Priestertum in Verkündigung, Seelsorge, Besuchsdienst, Leitung, Diakonie, Coaching, Evangelisation und Jüngerschaftsschulung. Alle Christen, unabhängig ihrer sozialen und kulturellen Herkunft, sind gleichermassen von Gott ermächtigt, ihre Gaben einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Deshalb mobilisiert und instruiert Wycliffe Associates USA über digitale Plattformen nationale Übersetzungsteams mit einheimischen Gemeindeleitern für die Überprüfung der Endfassung neuer Bibelausgaben in Gebieten, in denen es bisher Gottes Wort noch nicht in schriftlicher Form gab. «When we developed V-MAST, we had no idea its use would be called upon in such a way as this. The Covid-19 pandemic is a horrible thing to come upon humanity, yet God is using V-MAST to show us something very powerful.»[15]

Das Projekt V-MAST kann missiologisch als transkulturelles allgemeines Priestertum der Bibelübersetzung umschrieben werden. Ganz im Sinn der Kapstadt-Verpflichtung sind Missionsgesellschaften und Kirchen auf allen Kontinenten eingeladen, Gemeindeglieder, die professionell engagiert sind in Forschung, Technologie, im Gesundheitswesen und in der Politik zu unterstützen, damit sie ihre Gaben einbringen in die Ausbreitung des Evangeliums.[16]

3.3. Nachwuchsförderung in geistlicher Leiterschaft

Ein zentrales Anliegen in der gegenwärtigen Situation ist die sorgfältige Ausbildung, Begleitung und rasche Integration der Generationen Y und Z in die geistliche Leiterschaft von Gemeinden, Missions- und Hilfswerken. Sie bringen erfahrungsgemäss mehr theoretische und praktische IT-Kenntnisse mit als die bereits amtierenden Verantwortungsträger von Kirchen- und Missionsvorständen.[17] Dies trifft nicht nur zu auf die Länder der nördlichen Hemisphäre, sondern auch für die wachsenden Kirchen des globalen Südens.

Nicht ausser Acht gelassen werden darf in der Nachwuchsförderung der jüngeren Generation das «Flexicurity-Prinzip», das aus einer idealen Mischung aus Flexibilität und Sicherheit in fast allen Lebensbereichen besteht. Dazu gehören «flexible und verlässliche vertragliche Vereinbarungen, umfassende Fortbildungsstrategien für lebenslanges Lernen, wirksame, aktive arbeitsmarktpolitische Massnahmen, moderne Sozialversicherungssysteme».[18]

In der Praxis heisst das: Festhalten an der Glaubensbasis der WEA, klar definierte Arbeitsverträge, zeitgemässe Lohnmodelle und Arbeitsbedingungen, kontinuierlicher Ausbau und Sicherung der Altersvorsorge, Aktualisierung des internationalen WHO-Impfpasses, Flexibilität in der konkreten Platzanweisung, in der Öffentlichkeitsarbeit und in der Gestaltung der Arbeitszeit, Umsetzung von «member care» für Mitarbeitende und ihre Familien und Weiterbildungsmöglichkeiten. Damit verbunden ist auch die Förderung der Digitalisierung bei Gebets-, Rund- und Freundesbriefen, Gemeinde- und Stationsbuchhaltungen, in der Spendenverwaltung und Spendengewinnung über TWINT und im Ausbau von Internetplattformen für Mitarbeitende, Freunde und Mitglieder von Missionswerken, Gemeinden und Kirchen.

3.4. Kreative Gottesdienstformate

Kreative Formate der Mission werden auch sichtbar in Livestream-Gottesdiensten und Pilger-Gottesdiensten, Drive-in-Abendmahlsgottesdiensten, See-, Fluss- und Waldgottesdiensten. Die neuen Gottesdienstformate sind begrüssenswert und werden in Zukunft auf allen Kontinenten und in vielen Kulturen an Bedeutung gewinnen. Sie können aber das Defizit an Gemeinschaft vor Ort mit sozialer Nähe nicht ersetzen. Wo aber gesetzlich möglich, können zeitlich gekürzte Präsenz- und Parallelgottesdienste mit Maskenpflicht angeboten werden.

3.5. Förderung der Online-Lehrtätigkeit

Die Digitalisierung setzte bereits vor Beginn der gegenwärtigen Pandemie ein. Sie hat aber die fast unbegrenzte Beschleunigung dieses Prozesses in der Forschung, Wirtschaft und im Bildungswesen begünstigt. Die theologischen Ausbildungsstätten auf allen Kontinenten haben bisher gezeigt, dass ein methodischer Wechsel weg vom konventionellen Unterricht hin zur Online-Lehre mit Gewährleistung und Überprüfbarkeit der Lerninhalte und Nacharbeit vor Ort möglich ist. Dazu nutzen sie das breite Online-Angebot wie Skype, Youtube, Zoom, Cisco Webex, VoIP, Microsoft Teams, IONOS Video Chat, GoTo Meeting und Jitsi Meet.

Mit neuen Internetplattformen und Video-Konferenzen, meist in englischer Sprache, können Studierende gleichzeitig aus mehreren Kontinenten in Christusnachfolge und -zeugnis geschult werden, ohne dass die Lehrpersonen vor Ort gegenwärtig sein müssen. Jugend mit einer Mission erreicht so wesentlich mehr junge Menschen, die in Jüngerschaftsschulung und Evangelisation ausgebildet werden, als je zuvor. Ein längerer Präsenzaufenthalt in Kona auf Hawaii, wie er bisher üblich war, erübrigt sich. Das ist kostengünstiger, vermeidet lange interkontinentale Hin- und Rückreisen und die Teilnehmer des Projektes können vor Ort das Gelernte schneller in die Praxis umsetzen.[19]

Gemäss Statista haben heute bereits 62 Prozent der Weltbevölkerung Internetzugang.[20] In der Konsequenz heisst das, dass Kirchen, Gemeinden und Missionswerke in der Post-Covid-19-Ära mit relativ einfachen Internetplattformen fast die ganze Menschheit mit dem Evangelium erreichen und im Glauben schulen können.

3.6. Kritische Evaluation der Mobilitätspraxis

Covid-19 hat auf allen Kontinenten zu einer neuen Form von staatlich gelenkter Mobilitätsbegrenzung geführt. Konkret heisst das, dass Kirchen, Gemeinden, Missions- und Hilfswerke Wege zu einem ökologisch verantwortbaren Mobilitätsmanagement finden müssen: weniger Reisen, weniger Präsenzmeetings und -konferenzen und vermehrt die Nutzung von Onlinekonferenzen und Webinaren.

Ein Bericht aus Jordanien bestätigt diese Entwicklung. Victor Sadek, Leiter des Programmes für Theologische Ausbildung (PTEE) arabisch sprechender Christen, berichtet aus Jordanien, dass die meisten Studenten und Gruppen, die in den vergangenen zehn Jahren jeden Monat entstanden, aus Syrien stammen. Trotz schwierigster Umstände und stark eingegrenzter Mobilität wachse die Zahl der Hauskreise und Bibelstudiengruppen kontinuierlich.[21]

3.7. Neue Formen der sozialen Interaktion

Eine der grössten Herausforderungen in der Pandemie ist die Begrenzung der sozialen Interaktion. Händeschütteln, Umarmungen und Küsse sind Schlüsselelemente in vielen Kulturen. Begrüssungsrituale haben in der südlichen Hemisphäre einen noch grösseren Stellenwert als in Europa. Die behördlich erfolgten Auflagen zum Abstandhalten werden die sozialen und zwischenmenschlichen Beziehungen auf längere Zeit nachhaltig verändern.

Fazit

Ist nach Corona die Luft raus für die Missions- und Gemeindearbeit? Krisenzeiten bringen Verunsicherung und lösen Ängste aus, führen aber Christen auch zu einem grösseren Bewusstsein der Dringlichkeit der weltweiten Mission. Es ist davon auszugehen, dass die christliche Missions- und Gemeindearbeit nach der gegenwärtigen Pandemie verändert und gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen wird, wenn es ihr gelingt, ihren Kernauftrag auszuführen und die jüngere Generation zu mobilisieren.

Die Gegenwart Christi in der Umsetzung seiner Jüngerschafts-Beauftragung (vgl. Mt 28,19), seine Bevollmächtigung durch den Heiligen Geist (vgl. Apg 1,8) und die fröhliche Zukunftserwartung, dass er alles neu machen wird (vgl. Offb 21,5), rüsten aus zu einem authentischen Lebensstil und -zeugnis, das ihn ehrt und Hoffnung aufleuchten lässt – auch in der Post-Covid-19-Ära.

Autor: Dr. theol. Hans Ulrich Reifler

[1] vgl. Anthem, Paul: Risk of hunger pandemic as coronavirus set to almost double acute hunger by end of 2020. World Food Programme Insight (16.4.2020), www.wfp.org/stories/risk-hungerpandemic-coronavirus-set-almost-double-acutehunger-end-2020 (6.1.2021).
[2] vgl. Kurznack, Lars: KPMG Global Strategies in the Netherlands, https://home.kpmg/xx/en/home/contacts/k /lars-kurznack.html (4. Januar 2021).
[3] Forschungsergebnisse aus 86 Ländern mit 2,3 Millionen Befragten zeigen die epochalen Veränderungen unserer Gesellschaft und die daraus resultierenden Fragen an die Christenheit. Vgl. Schwarz, Christof A.: Gott ist unkaputtbar. 12 Antworten auf die Relevanzkrise des Christentums. Asslar, 2020.
[4] vgl. World Evangelical Alliance: Statement of Faith, https://worldea.org/who-we-are/statement-of-faith/  (13.2.2021).
[5] vgl. Lausanne Movement: Die Lausanner Verpflichtung, www.lausanne.org/de/lausannerverpflichtung/ (13.2.2021).
[6] vgl. Barth, Karl: Auslegung von Mattthäus 28,16-20. Basler Missionsstudien 17. Basel, 1945.
[7] Vicedom, Georg Friedrich, zitiert bei Kasdorf, Hans: Gustav Warnecks missiologisches Erbe. Giessen/Basel, 1990, 249.
[8] vgl. Schnabel, Eckhard J.: Urchristliche Mission. Wuppertal, 2002, 351.
[9] vgl. Reifler, Hans Ulrich: Handbuch der Missiologie. Missionarisches Handeln aus biblischer, historischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive. Nürnberg, 2009, 58.
[10] World Evangelical Alliance: https://disciplemaking.worldea.org/ (4.1.2021).
[11] vgl. World Evangelical Alliance: https://disciplemaking.worldea.org/categories/ (4.1.2021).
[12] vgl. www.go2020.world/de und www.globaloutreachday.com/ (2.1.2021).
[13] vgl. Radio Life Channel: https://lifechannel.ch/radio/life-on-stage-eine-neue-form-der-evangelisation/ (2.1.2021).
[14] IDEA: https://www.ideaschweiz.ch/artikel/das-beten-gehoert-fuer-mich-zum-alltag (14.6.2021).
[15] Wycliffe Associates: https://wycliffeassociates.org/projects/virtual-mast-v-mast/ (8.3.2021).
[16] vgl. Lausanne Movement: Kapstadt Verpflichtung, www.lausanne.org/de/kapstadt-verpflichtung/die-kapstadtverpflichtung (8.3.2021).
[17] Walker Tzeng, Exekutiv-Direktor der IT-Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz versucht, Kirchen, Gemeinden, Missions- und Hilfswerke nachhaltig zu vernetzen und zu motivieren, die neuen IT-Ressourcen vermehrt zu nutzen. Vgl. www.worldevangelicals.org/itc/intro.htm (2.1.2021).
[18] Europäische Kommission Beschäftigung, Soziales und Integration: https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=102&langId=de (5.1.2021).
[19] Susi Childers, YWAM Kona, Hawaii, im Gespräch mit dem Verfasser in Nagold (28.7.2020).
[20] vgl. Statista: Statistiken zur Internetnutzung weltweit, https://de.statista.com/themen/42/internet/ (2.1.2021).
[21] vgl. Livenet: https://www.livenet.ch/magazin/international/asien/387252-in_syrien_entstehen_neue_haus_und_bibelgruppen.html (8.3.2021).

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