Menschen wie du und ich

Die Inklusion von Menschen mit Behinderung ist nicht immer barrierefrei. Mich haben die Beiträge in diesem Magazin drei Lektionen gelehrt:

Erstens, es ist wichtig, genau hinzuhören und miteinander im Gespräch zu sein. Es braucht echtes Interesse, was Menschen mit Behinderung brauchen, damit sie sich als Teil der Kirchgemeinschaft fühlen. Und echtes Interesse bedeutet, nicht von eigenen Annahmen auszugehen, sondern nachzufragen – wie Jesus, der den blinden Bartimäus fragte, was er an ihm tun soll. Wir müssen als Christen und als Kirche bereit sein, hinzuhören und die Bedürfnisse ernst zu nehmen. Das gilt ja nicht nur bei Menschen mit einer Behinderung, sondern bei jedem Menschen. Denn wir alle sind unterschiedlich und individuell. Aber es ist die Aufgabe der Kirche, vermehrt auf die Bedürfnisse von Menschen mit einer Behinderung einzugehen und die Möglichkeit zu schaffen, dass auch sie ihre Gaben einbringen können und so den Leib Christi bereichern. Sonst gelingt es nicht, dass sie Teil der Gemeinschaft werden.

Zweitens, in der Kommunikation ist auch auf die Sprache zu achten, so dass das Gegenüber sich nicht herabgesetzt fühlt oder das Gesagte nicht als übergriffig wahrgenommen wird. Und warum nicht als nächste Fremdsprache die Gebärdensprache lernen?

Drittens, Inklusion stösst an ihre Grenzen und wir als Menschen kommen an unsere Grenzen. Es ist nicht immer möglich, alle Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen gleich zu inkludieren. Aber es ist möglich, sich Mühe zu geben und das, was eben möglich ist, umzusetzen. Das bringt uns auch die Geschichte in Markus 2 näher. Den Gelähmten zu Jesus zu bringen, schien unmöglich, da das Haus voll war und es scheinbar keinen Weg zu Jesus gab. Doch die Freunde suchten einen Weg und machten es möglich.

Inklusion von Menschen mit Behinderung geschieht auch nicht von heute auf morgen, aber jeder kleine Schritt hilft, dass ein Geschwister in Jesus sich genauso als Teil der Familie Gottes fühlt und sich uneingeschränkt am Bau von Gottes Reich beteiligen kann. Ausserdem möchten wir als Christen ja alle Menschen in die Nachfolge von Jesus einladen – dazu gehören selbstverständlich auch Menschen mit einer Behinderung. Und wie sollen sie in ihrer Nachfolge von Jesus gestärkt werden, wenn sie keine Möglichkeit haben, überhaupt in ein Kirchengebäude hineinzukommen bzw. Gemeinschaft mit anderen Christen zu pflegen?

Vieles beginnt schon nur damit, sich als Kirche sensibilisieren zu lassen und sich darauf einzulassen, die Augen für diejenigen zu öffnen, die noch nicht da sind oder am Rand stehen. Mir war beispielsweise oft gar nicht bewusst, dass es in Kirchengebäuden Toiletten gibt, die für Menschen mit einem Rollstuhl nicht zu erreichen sind. Oder ich hatte mir noch nie überlegt, wie unsere Gottesdienste gestaltet werden müssten, damit auch ein Autist sich wohl fühlt.

Die SEA ist deshalb begeistert von der Arbeitsgemeinschaft «Glaube und Behinderung», weil sie immer wieder sensibilisiert, Menschen mit einer Behinderung in ihrem Glauben an Jesus Christus unterstützt und fördert und dafür sorgt, dass ihre Stimme in der Gesellschaft gehört wird. Als SEA sind wir begeistert, wenn jede und jeder Zugang zum Evangelium erhält, auch Menschen mit einer Behinderung, und wir einander auf Augenhöhe begegnen. All dies im Wissen, dass wir nicht immer alle Bedürfnisse abdecken können. Das wissen nicht zuletzt die Betroffenen selbst und ist auch gar nicht ihr Anspruch. Aber sie möchten gesehen und gehört werden – als Mensch wie du und ich.

Viviane Krucker-Baud
ist Co-Generalsekretärin der Schweizerischen Evangelischen Allianz.