Wie Kirche genau aussehen und was sie tun soll, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wenn wir uns aber über die Kirche mit Zukunft Gedanken machen, muss geklärt werden, was genau und wie dies erreicht werden soll. Die Unterscheidung der Kirche in ihre sozialen Erscheinungsformen als Bewegung, Institution, Organisation und ihre Zuordnung zueinander als Hybrid bietet Orientierung. Sie verdeutlicht zudem die besonderen Chancen, mögliche Ziele und Vorgehensweisen, um eine Kirche mit Zukunft zu konkretisieren.
Kirche als Bewegung
Aus der Gruppe von Menschen um Jesus herum bildete sich die Urzelle der Kirche – eine Bewegung, die sich stark ausbreitete. Bewegungen sind meist energiegeladen, getrieben von Hoffnungen, Ideen und einer attraktiven Zukunftsvorstellung. Sie begeistern, suchen Anhänger und rufen zur Nachfolge auf. Dort versammeln sich Menschen in Gruppen und verfolgen gemeinsame Visionen und Ziele. In der Kirche als Bewegung sind Initiativen von Bedeutung, die etwas in Bewegung setzen oder in Bewegung halten. Im Unterschied zu Institutionen oder Organisationen sind Bewegungen wenig strukturiert und agieren sehr flexibel. Diese drei Kernelemente – Bewegung, Gruppe und Gemeinschaft – sind für viele das Ursprüngliche, Reine und Verheissungsvolle der Kirche. Sie waren und sind auch heute immer wieder Träger neuer Ideen und eine Kraftquelle für die Erneuerung.
Kirche als Institution
Wenn Bewegungen erfolgreich sind und Bestand haben, verändern sie sich. Es setzt in der Regel ein Prozess der Institutionalisierung ein, der den Erfolg der Bewegung bewahren soll. Am Anfang steht die Gewöhnung an Abläufe, Interpretationen und Rollen. Sie werden zu Tradition und gewinnen Autorität. Die Entwicklung der Kirche zu einer Institution schlägt sich auch in Ämtern, in der Ritualisierung der Liturgie, in der Lehre und in einem immer detaillierteren kirchlichen Regelwerk nieder. Damit bietet die Institution aber auch Selbstverständlichkeiten, in die sich alle Beteiligten integriert erleben. Wenn beispielsweise ein Mensch gestorben ist, kann das Individuum auf die Kirche zurückgreifen, auf Experten für die übliche Handlungsform der Bestattung. Kirche als Institution bietet Räume der Beheimatung und ein Gemeinschaftsgefühl. Sie transportiert die christliche Botschaft und Werte in die Gesellschaft sowie bewährte Traditionen in die Gegenwart. Sie bietet dort ihre Dienste an, wo sie gefragt ist, zum Beispiel bei Lebensübergängen, in der Diakonie oder in der Katechetik und der Seelsorge.
Kirche als Organisation
Seit den 1990er-Jahren tritt bei der Beschreibung der Kirche der Begriff der Organisation in den Vordergrund. Als Organisation ist sie eine Mitspielerin auf einem religiösen Markt, macht Zielgruppenangebote, entwickelt Leitbilder, durchläuft Reformprozesse und denkt wirtschaftlich. Folgerichtig gehören zur Nonprofit-Organisation Kirche die Analyse des Umfelds und der eigenen Organisation, Visionen, Ziele, Strategien, strukturierte Abläufe, Management, Marketing und weitere Elemente aus der Organisationstheorie. Zur Organisationslogik gehören weiter die strategische Planung der Leitung, um die Kommunikation des Evangeliums zu fördern, und das Einbinden der Mitglieder in die aktive Zielerreichung.
Die Kirche, als Organisation verstanden, bildet damit in verschiedenen Bereichen einen Kontrast zur Kirche als Institution. In der Institution Kirche orientieren sich die Professionellen an ihren Aufgaben, das heisst, Dienstleistungen für alle in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen. In der Kirche als Organisation orientiert man sich nicht nur an den üblichen Aufgaben, sondern an einer gemeinsam definierten Vision und daraus abgeleiteten Zielen. Es geht nicht mehr vor allem darum, gute Angebote zur Verfügung zu stellen, sondern eine Vision und Ziele zu erreichen. Ersteres wird in der Regel den Status quo festigen. Letzteres ermöglicht eine Weiterentwicklung der Formen, neue Angebote und Ausdrucksweisen sowie die Veränderung der Strukturen.
kirche als Hybrid
Wie verhalten sich nun Bewegung, Institution und Organisation zueinander? Der Blick in die Praxis zeigt, dass es sich um drei verschiedene Idealbilder von Kirche handelt, die angestrebt und verteidigt werden. Alle drei Logiken sind sowohl im Handeln der Kirchen als auch im Verhalten der Mitglieder eindeutig erkennbar. Realistischerweise ist auch nicht zu erwarten, dass eines der drei Modelle in nächster Zeit über die beiden anderen siegt, also eine Kirche zur reinen Bewegung, Institution oder Organisation wird. Was nun?
Für geschlossene Systeme, die nebeneinander erfolgreich sind, wird der Begriff «Hybrid» verwendet. In der Automobilindustrie wird damit ein Fahrzeug mit zwei autonomen Antriebssystemen bezeichnet. In ähnlicher Weise kann man Kirche als Hybrid aus Bewegung, Institution und Organisation verstehen. Kirche, als Hybrid gedacht, erinnert an die Chancen und Stärken aller drei Kirchenantriebe, die nicht gegeneinander, sondern in Kombination zum Weiterkommen des Ganzen eingesetzt werden können. Eine Kirche mit Zukunft fragt danach, welche Kultur vor Ort vorherrscht, in welche Richtung sie weiterentwickelt werden soll und wie die drei Antriebsenergien situativ richtig kombiniert eingesetzt werden. Die Verantwortlichen werden diejenigen sozialen Erscheinungsformen fördern, die für die nächsten Schritte wesentlich sind. Dies aber immer mit dem Ziel, das Ganze zu stärken. Wenn beispielsweise in einer Kirche die Innovationskraft, also die Energie der Bewegung, zu wenig stark ausgeprägt ist, könnten innovative Menschen und Projekte sowie das Experimentieren gefördert werden, indem begabte Personen ermutigt und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Manchmal wird eine Form stärker zum Tragen kommen, bei einer anderen Gelegenheit eine andere. Eine Person wird stärker das eine Idealbild verkörpern, eine andere ein anderes. Dies wird aber nie in Konkurrenz geschehen, sondern im Bewusstsein, durch gegenseitige Ergänzung und geschickte Kombination das Ganze zu fördern.
Durch das Verständnis von Kirche als Hybrid wird ein Klima der Gleichwertigkeit und Akzeptanz gegenüber den verschiedenen Idealbildern von Kirche und den damit verbundenen theologischen Ausprägungen gefördert. Die Kirche mit Zukunft wird über alle Antriebssysteme und alle von Gott gegebenen Energien verfügen und sie mit Weisheit kombinieren.
Quellen:
- Hauser, Marcel: Neues Leben in der Kirche, Impulse für die Gemeindeentwicklung und den Gemeindeaufbau. Norderstedt, 2020, 46-63 und 176-180 (Download unter: www.hauser-beratung.ch).
- Hauschild, Eberhard/Pohl-Patalong, Uta: Kirche. Gütersloh, 2013, 216-219.
Autor: Marcel Hauser