Man kann ihn mit Fug und Recht als «Vater» des heutigen Missionsverständnisses bezeichnen: René Padilla. Mit ihm verstarb Ende April einer der einflussreichsten Theologen Lateinamerikas mit weltweiter Ausstrahlung. Seine Tochter Ruth Padilla DeBorst blickt auf sein reiches Leben zurück.
Am 12. Oktober 1932 in Quito geboren, wuchs René Padilla in Ecuador und Kolumbien in einer von politischen und religiösen Unruhen geprägten Zeit auf. Sein Lehrer in der Schule stellte eine Frage, die zweifelsohne eine Suche initiierte, die sein Leben seither prägte: «Was hat der christliche Glaube zur Realität unserer Umstände beizutragen?» Diese Frage begleitete René Padilla nach Illinois, wo er am Wheaton College seinen Bachelor in Philosophie und den Master in Theologie abschloss. Obwohl er sich auch als Pastor einer kleinen lateinamerikanischen Gemeinde in der Umgebung viel Wissen und viele Methoden für die Auslegung der Bibel aneignete, erhielt er nie eine klare Antwort auf seine Frage.
Die Frage motivierte ihn auch während der Jahre, als er die International Fellowship of Evangelical Students (IFES; hier VBG) im aufgeheizt-revolutionären Klima der Universitäten von Kolumbien, Ecuador und Venezuela Ende der 50er-Jahre aufbaute. Für Padilla und seine Freunde Samuel Escobar und Pedro Arana waren Antworten von Menschen aus anderen Breitengraden nicht zufriedenstellend. Sie mussten eine eigene Theologie entwickeln, die dem lateinamerikanischen Kontext entsprang und ihm entsprach; eine Theologie, die ganzheitlich vom Evangelium auf die drängenden Nöte der Realität um sie herum eingehen würde. Diese Idee inspirierte Padillas Doktorarbeit zum Neuen Testament unter F.F. Bruce an der Universität in Manchester, England. Allerdings konnte Padilla das Paradigma, das später als «Integrale Mission» bekannt werden würde, erst nach seiner Rückkehr mit Hilfe von Kollegen erfolgreich vervollständigen.
Verfechter einer ganzheitlichen Perspektive
Im Jahr 1974 in Lausanne veröffentlichten Padilla und Escobar diesen Weckruf, wonach es zu anerkennen gelte, dass die Verkündigung und das Vorleben von Gottes Reich und dessen Gerechtigkeit untrennbar miteinander verbundene Aspekte des Missionsauftrages von Gott an die Christenheit sind. Von diesem Moment an referierte, schrieb, lehrte und verkörperte Padilla diese ganzheitliche Perspektive des Evangeliums und der Mission und beeinflusste damit evangelische Christen und Bewegungen auf der ganzen Welt in ihrem Denken und Handeln. Mit seiner bahnbrechenden Beharrlichkeit und seinem pastoralen und prophetischen Handeln war er bei der Gründung etlicher Institutionen beteiligt, unter anderem bei der Lausanner Bewegung, Micah Global und Tearfund. Gegen Ende seines Lebens widmete sich René Padilla für mehr als ein Jahrzehnt als Chefredaktor seinem «masterpiece», dem Comentario Bíblico Contemporáneo (Zeitgenössischer Bibelkommentar), der in Kooperation mit mehr als 100 Autoren entstand.
René Padilla liebte das Leben und den Gott, der es erhält. Er bleibt uns als der introvertierte und mutige Mann in Erinnerung, der es zu beteuern wagte, mit leidenschaftlichem Wort und engagierter Tat inmitten der harten Realitäten dieser Welt Gottes Reich und seine Gerechtigkeit zu suchen.
Autorin: Ruth Padilla
(Übersetzung aus dem Englischen: Melinda Attinger)