Körperstrafen bei Kindern[1] waren über lange Zeit gesellschaftlich akzeptiert. Das war auch in Schweizer Schulen bis in die 1970er-Jahre nicht anders. Nicht zuletzt dank der UNO-Kinderrechtskonvention hat seither ein Wandel stattgefunden. Physische und psychische Gewalt in der Erziehung sind aber noch heute erschreckend verbreitet, ihre Auswirkungen auf die Entwicklung dramatisch.
In der Antike galten Kinder als «unfertige Menschen» und minderwertig. Bis ins 4. Jahrhundert war deshalb die Kindstötung gesellschaftlich akzeptiert. Peitschen, Rohrstücke oder Rutenbündel waren als Erziehungsmittel selbstverständlich. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde es humaner. So wurde geraten, beim Schlagen milde zu sein, Kinder nicht mehr ins Gesicht oder auf den Kopf zu schlagen und hierzu keine groben Schlagwerkzeuge mehr zu verwenden. 1990 forderte die UNO-Kinderrechtskonvention, Kinder vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung zu schützen. Der Wandel geschah somit erst in den letzten Jahrzehnten, dann aber im Eiltempo.
Die Praxis heute
Eine der neusten Befragungen von 1605 Vätern und Müttern[2] zeigt folgende Zahlen: Über alle Gewaltformen hinweg wenden 62 Prozent der Eltern keine körperliche Gewalt an. Das heisst aber auch: 38 Prozent der Eltern machen von Gewalt Gebrauch und nennen am häufigsten Schläge auf den Hintern, Stossen, an den Haaren ziehen und Ohrfeigen (siehe Abbildung). Die Häufigkeit der Gewaltanwendung variiert von regelmässig bis selten. Es wurde auch nach psychischer Gewaltanwendung gefragt. Nur 42,3 Prozent der Eltern verzichten ganz darauf (Details siehe Abbildung).
Verstörend ist, dass sämtliche Studien belegen, dass jüngere Kinder öfter von Gewalt betroffen sind. In Bezug auf Kindesmisshandlung berichten Schweizer Kinderkliniken von einem erschreckenden Anstieg um 14 Prozent zwischen 2021 und 2022.
Was Körperstrafen bewirken
Wissenschaftler der Universitäten von Texas und Michigan haben in einer Metaanalyse Ergebnisse aus 50 Jahren Forschung gesichtet.[3] Insgesamt wurden mehr als 160’000 Kinder im Hinblick darauf untersucht, welche Auswirkungen ein gelegentlicher Klaps auf ihre Entwicklung hat. Zusammenfassend einige der Erkenntnisse:
- Das angestrebte Ziel von besserem Benehmen wird längerfristig nicht erreicht.
- Ob harte oder sanftere Schläge – sie haben immer negative Auswirkungen auf die Kinder, wenn auch letztere in etwas geringerem Masse.
- Kinder, die regelmässig einen Klaps bekommen, widersetzen sich ihren Eltern häufiger, sind aggressiver und asozialer, bekommen öfter psychische Probleme und ihr geistiges Vermögen leidet.
- Kinder, die im Alter von zwei bis vier Jahren regelmässig einen Klaps bekommen haben, haben im Durchschnitt einen um fünf Punkte niedrigeren IQ. Auch ihre geistige Entwicklung wird verlangsamt.
- Langzeiteffekte bei Erwachsenen wie asoziales Verhalten, psychische Probleme und ein niedrigeres Wohlbefinden zeigen sich umso häufiger, je öfter sie geschlagen wurden.
- Erwachsene, die selbst als Kind von ihren Eltern Gewalt erfahren haben, setzen den eigenen Kindern gegenüber häufiger wiederum Gewalt ein (Kreislauf der Gewalt).
Um mit einer positiven Note abzuschliessen: Eltern setzen körperliche Gewalt meist nicht absichtlich ein und bereuen dies danach. Auslöser sind vorwiegend Ärger, Stress, Überforderung oder Müdigkeit und weil ein alternatives Verhaltensrepertoire fehlt. Mehrheitlich aber gelingt Erziehung.


[1] Zur Vertiefung: Schnyder, Martin: Körperstrafe in der Kindererziehung? Eigenverlag, Jahr, erhältlich bei: martin.schnyder@bluewin.ch.
[2] Häufigkeiten in der Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt im Rahmen von Eltern-Kind Interaktionen und Erziehung. Universität Fribourg, 2023.
[3] Gershoff, E. T. / Grogan-Kaylor, A.: Spanking and child outcomes: Old controversies and new meta-analyses. Journal of Family Psychology, 30(4) 2016, 453–469.
Autor: Martin Schnyder

Martin Schnyder ist verheiratet und Vater dreier erwachsener Kinder. Er war nach einer theologischen Ausbildung in England 40 Jahre in der Gemeindearbeit tätig und hat sich unter anderem in Biblisch-Therapeutischer Seelsorge weitergebildet.