Mir ist das kleine Erbstück meiner Grossmutter wieder lieb geworden. Sich bergen in einer tragenden Hand, so würde ich meinen Glauben heute beschreiben. So beschrieb ihn schon meine Grossmutter. Mir wird wieder neu bewusst: Der Glaube unserer Vorfahren prägt unser Denken und Handeln heute. Dem nachzugehen, ermöglicht ein Nachsinnen darüber, welche Schätze wir an die nächste Generation weitergeben möchten und welche Stolpersteine in der Vergangenheit zu wenig Beachtung erhielten.
Für angehende Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen ist die Reflexion der eigenen Biografie ein wichtiger Teil der Ausbildung. Sie gehen der Frage nach, was begünstigende und behindernde Faktoren für eine gesunde Glaubensentwicklung von Kindern und Jugendlichen sind.
Die folgenden Erkenntnisse und Reflexionsfragen von Studierenden der Höheren Fachschule für Sozialpädagogik in Zizers aus ihren Biografien, gepaart mit der Fachexpertise von Dozierenden, sind nicht abschliessend. Sie sollen aber zur Reflexion anregen, welche biografischen Faktoren die eigene Glaubensentwicklung geprägt haben und was dies für das Erziehungsgeschehen in Elternhaus und Kirche bedeutet:
- Grundlegend ist eine altersgerechte Vermittlung von Glaubensinhalten, welche die entwicklungspsychologischen Voraussetzungen berücksichtigt.
- Sind die Bindungserfahrungen im Säuglings- und Kleinkindalter von Feinfühligkeit, Sicherheit und Geborgenheit geprägt, überträgt sich dies häufig auf das spätere Gottesbild. Umgekehrt kann das Erleben von Unsicherheit durch eine Hinwendung zu Gott kompensiert werden. Glaube gibt Halt und entschädigt für frühere emotionale Entbehrungen.[1]
- Das Jugendalter ist entscheidend für die Entwicklung eines selbstbestimmten Glaubens. Je mehr Freiheit ermöglicht wird, je mehr Vertrauen die Jugendlichen spüren, desto eher werden sie auch in Glaubensfragen mündig.
- Eine grosse Mehrheit der christlichen Eltern verfolgt das Erziehungsziel, das Kind möge den christlichen Glauben gemäss ihren Glaubensvorstellungen annehmen.[2] Dies soll eine selbst gewählte, freiwillige Entscheidung sein. Die Entwicklung zu einem mündigen Glauben passiert jedoch zumeist über Umwege. Dieses Spannungsfeld gilt es wahrzunehmen und auszuhalten.
- Unsere persönliche Vorstellung von gesundem oder richtigem Glauben prägt uns. Zu merken, dass die eigene Wahrheit eine von vielen ist, ermöglicht eine Weite.
- Verstehen wir Glauben als ein Befolgen von Regeln bzw. bestimmtem Verhalten oder als eine persönliche Beziehung, die von bedingungsloser Annahme, Vergebung und Gnade geprägt ist? Wird der verlorene Sohn, die verlorene Tochter mit Vorwürfen und Anklage oder mit offenen Armen empfangen?
- Die Glaubensentwicklung kann beeinflusst, aber weder kontrolliert noch beherrscht werden. Die Demut vor der eigenen beschränkten Bedeutung und das Vertrauen auf Gottes Wirken entlasten.
- Die eigene Ohnmacht vor der Allmacht Gottes auszuhalten und ihr trotzdem zu vertrauen, ist eines der grössten Spannungsfelder des Glaubens. Dies nicht zu tabuisieren, sondern den eigenen Umgang damit zu teilen, ist ein wesentlicher begünstigender Faktor für die Entwicklung eines Glaubens, der Zweifel und Zuversicht zulässt.
- Wie erlebt das Kind unseren Glauben im Alltag? Ist unsere eigene Gottesbeziehung erlebbar und spürbar? Oder ist sie geprägt von Ritualen wie dem Tischgebet oder dem Gottesdienstbesuch?
[1] vgl. Bucher, Anton: Psychologie der Spiritualität. Beltz, 2014, 90.
[2] vgl. Künkler, Tobias / Faix, Tobias: Zwischen Furcht und Freiheit. SCM Brockhaus, 2017, 72-76.
Autorin: Rahel Striegel

Rahel Striegel ist Leiterin der Sozialpädagogischen Fachstelle der Stiftung Gott hilft. Der Artikel ist im Fachaustausch mit Christian Eckert, Dozent an der HFS Zizers, entstande