Christliche «Kriegsregeln» für unsere Welt

Henry Dunant (1828-1910) wurde anlässlich des kürzlichen Jubiläums der SEA gebührend gefeiert. Und das zu Recht. Er war nicht nur als Sekretär des ersten Schweizer Ablegers der Evangelischen Allianz tätig, er gründete hier auch eine Art Jugend-Allianz, die später zur Gründung des Weltbundes des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM) führte. Vor allem aber war Dunant ein wichtiger Initiant des Roten Kreuzes und des humanitären Völkerrechts.

Henry Dunant war ein pietistisch geprägter Geschäftsmann und Visionär, hatte aber auch Augen für die sozialen Nöte seiner Zeit. 1859 erlebte er als Zuschauer die Schlacht von Solferino. Es war die Entscheidungsschlacht im Sardinischen Krieg zwischen dem Kaisertum Österreich und dem Königreich Sardinien, das mit Frankreich unter Napoleon III. verbündet war. Über 40’000 Menschen kamen ums Leben. Dunant sah sich mit Zehntausenden von Verwundeten konfrontiert, die nur von ein paar Frauen gepflegt wurden. «An vielen Orten wurden nur die französischen und italienischen Verwundeten gepflegt, die Österreicher hingegen blieben ohne Hilfeleistung auf dem Schlachtfeld liegen.» Seinem Temperament gemäss griff Dunant zu, «half, labte, verband behelfsweise und tröstete».[1]

Nach der blutigen Schlacht schrieb er 1862 seine «Erinnerungen an Solferino» und machte Vorschläge, wie Kriegsverletzten besser geholfen werden konnte. 1863 rief er unter anderem mit dem Schweizer Sonderbunds-General Henry Dufour Persönlichkeiten aus 17 europäischen Ländern in Genf zu einem Kongress zusammen. Sie erliessen den Aufruf an die Regierungen des damaligen Europa, «Nationale Hilfsgesellschaften zu gründen, diesen Gesellschaften Schutz und Unterstützung zu leihen, in Kriegszeiten die Feldlazarette und Spitäler, das Sanitätspersonal, die Freiwilligen und Verwundeten als unverletzbar zu bezeichnen – und – alle geschützten Personen und Einrichtungen mit einem gemeinsamen, gut erkennbaren Zeichen zu versehen»[2]. Ein Jahr danach setzten zwölf Staaten ihr Siegel unter das Dokument. Es wurde später mit drei anderen Abkommen und zwei Zusatzprotokollen zum Grundpfeiler des heutigen humanitären Völkerrechts, den sogenannten Genfer Konventionen. Die fünf Männer, die zum ersten Kongress eingeladen hatten, konstituierten sich schon vor dem Abschluss des ersten Abkommens als «Internationales Komitee vom Roten Kreuz» (IKRK).

Schutz für immer mehr Personengruppen
Der rote Faden durch die einzelnen Artikel der damaligen Konvention ist die Neutralität der im Krieg Erkrankten und Verwundeten, solange die Feldlazarette nicht mit Militär besetzt sind. Geschützt sind die «mit der Aufsicht, der Gesundheitspflege, der Verwaltung, dem Transport der Verwundeten beauftragten Personen, sowie die Feldprediger»[3]. Jeder Verwundete, der privat in einem Haus aufgenommen wird, soll denselben Schutz geniessen. Die Gastgeber sollen von einer «Truppeneinquartierung» sowie von einem Teil der «Kriegskontribution» verschont werden. Verwundete oder kranke Militärs sollen ohne Unterschied der Nationalität aufgenommen und verpflegt werden. Diejenigen, die nach ihrer Heilung dienstunfähig sind, sollen in ihre Heimat zurückgeschickt werden. «Die andern können ebenfalls entlassen werden unter der Bedingung, während der Dauer des Krieges die Waffen nicht wieder zu ergreifen.»

Dieser Aufgabenbereich wurde angesichts eines immer totaleren Krieges zur Fürsorge für alle Opfer des Krieges ausgeweitet. Er galt nun «für Kriegsgefangene, für verwundete und kranke, internierte und deportierte Zivilpersonen, für Evakuierte und Obdachlose, für die Bevölkerung besetzter Gebiete, für Flüchtlinge und Heimatvertriebene»[4]. Parallel dazu entwickelte sich die Arbeit in Friedenszeiten mit den Rotkreuzgesellschaften und ihrer Hilfe für «Kranke, Verunfallte, Gebrechliche, für Greise und Kinder, für die Opfer von Katastrophen im In- und Ausland».

Die Vision von Henry Dunant und seinen Mitstreitern hat Gestalt gewonnen und unsere Welt zumindest ein wenig verändert. Ihre Umsetzung aber bleibt ein dringendes Anliegen, gerade für Christen. Laut Dunant hat das Evangelium nicht nur eine geistliche, sondern ebenso eine soziale Botschaft: «Nur wenn Menschen in Liebe handeln, sich um den Nächsten kümmern und sich des Schwächeren annehmen, wird das Evangelium gelebt.»[5]

Autor: Hanspeter Schmutz

[1] Dunant, Jean Henry, in: Christen, Beat (Hrsg.): La Suisse existe. 2001, Eigenverlag, S. 97.

[2] Dunant, Henry: Eine Erinnerung an Solferino. Jubiläumsausgabe 125 Jahre Rotes Kreuz. Bern 1988, SRK, S. 81.

[3] Dunant, Henry: Eine Erinnerung an Solferino. Zürich 1967, Atlantis, S. 124f.

[4] Haug, Hans in: dito, S. 132.

[5] Hanimann, Thomas: Was glaubte Henry Dunant? SEA-Stellungnahme, 2010, S. 10.

Datum
Uhrzeit
Ort
Webseite
Preis
Anmeldefrist